Der Blick in das Gehirn von MS-Betroffenen kann über die Entwicklung der Krankheit viele Aufschlüsse geben. So wissen die meisten Neurolog*innen heute, dass MS-Patient*innen durch die Gewebeschädigung im Rahmen der MS von den Risiken einer verstärkten Gehirnatrophie (Gehirnschwund) betroffen sein können.
Was sie allerdings nicht sagen können ist, in welchem Stadium sich die Hirnatrophie befindet beziehungsweise wie schnell sie voranschreitet. Denn es gibt noch kein ausgereiftes und standardisiertes Messverfahren, das zur Diagnose des Gehirnschwunds in der Praxis eingesetzt werden kann. Die Diagnostik des Gehirnatrophie ist eine große Herausforderung.
Ein übermäßiger Abbau von Gehirnvolumen macht sich oft erst auf lange Sicht bemerkbar. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, ist individuell unterschiedlich.
In den letzten Jahrzenten konnten Wissenschaftler*innen aufdecken, dass sich das menschliche Gehirn ein Leben lang verändert. Die neuronale Plastizität beschreibt den Prozess des lebenslangen Lernens, die Eigenart von Nervenzellen und Synapsen, sich aufgrund fortlaufender Prozesse in ihrer Funktion anzupassen. Das Gehirn ist somit nicht starr und unveränderbar, sondern passt sich den neuen Situationen an.
Jedes Gehirn ist daher ein Wunder und einzigartig, bedingt durch verschiedene Faktoren:
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Die Komplexität der Vernetzung aufgrund unterschiedlicher Lebenserfahrungen und Umweltfaktoren
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Prozesse und Ausmaß der Hirnplastizität, die ein Defizit oftmals lange kompensieren und somit maskieren können
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Der eigene Lebensstil (Ernährung, Sport, Lebenseinstellung) kann deutlich das Sichtbarwerden kognitiver Defizite verzögern
So lernt das Gehirn, dem Verlust an Hirnvolumen entgegenzuwirken.
Die Plastizität des Gehirns kann bei MS-Patient*innen dazu führen, dass sie die Gehirnatrophie erst spät erkennen. Andererseits bietet sie auch Hoffnung, denn verloren gegangene Fähigkeiten können im besten Fall auch wieder neu erlernt werden.
Diagnose Gehirnatrophie ‒ die Magnetresonanztomographie (MRT)
Eine Herausforderung besteht heute darin, eine einheitliche und möglichst praktikable und schnelle Messmethode zu entwickeln, die es erlaubt, den Gehirnschwund früh aufzudecken.
Mit den gängigen bildgebenden Verfahren – wie Kernspin- beziehungsweise Magnetresonanztomographie – kann man den Abbau der Hirnsubstanz dokumentieren. Infolge des Gehirnschwunds erweitern sich die Hirnkammern im Inneren des Gehirns und die Furchen an der Oberfläche des Gehirns. Dies ist z. B. auf MRT-Bildern erkennbar. Jedoch zeigen die MRT-Untersuchungen den Verlust an Gehirnvolumen häufig erst auf, wenn dieser weit vorangeschritten ist.
Heute weiß man, dass im Gehirn von MS-Patient*innen der Schwund von Nervenzellen und Synapsen im Thalamus sehr viel früher einsetzt als in anderen Gehirnabschnitten. Daher steht der Thalamus heute im besonderen Fokus der Forscher, wenn es um die Diagnose der Gehirnatrophie geht. Er lässt sich zudem verhältnismäßig gut nachweisen, da der Thalamus nicht wie in anderen Arealen von der Gehirnflüssigkeit überdeckt und beeinflusst wird.
Gehirnschwund macht sich bei vielen Betroffenen im Verlauf durch kognitive Beeinträchtigungen bemerkbar. Wird der Abbau des Gehirns bei MS früh erkannt, kann man diesen von Anfang an entgegenwirken.
Quelle:
- Gehirnatrophie richtig erkennen | msundich.de