Achtsamkeit ist seit einigen Jahren in aller Munde. Immer wieder wird davon gesprochen, doch bitte achtsam durchs Leben zu gehen. Sogar aktuelle Kampagnen bedienen sich der Idee verstärkt. Doch kann das inmitten einer Pandemie tatsächlich gelingen?
Die Pandemie stellt uns alle auf eine sehr harte Probe. Nichts ist es mehr so, wie wir es gewohnt waren, alles fühlt sich anders und herausfordernd an. Wir alle erleben einen Balanceakt zwischen Vereinsamung und Überlastung. Wege aus dieser instabilen Lebensphase gibt es viele – schon ein klein wenig mehr Achtsamkeit kann Erleichterung bringen.
Doch was ist eigentlich Achtsamkeit? Achtsam zu sein bedeutet, das, was in uns selbst und außerhalb von uns passiert, möglichst häufig bewusst wahrzunehmen. Meistens hetzen wir eher unachtsam durch den Tag. Wir spulen unsere Gewohnheiten und altgedienten Denk- und Handlungsmuster automatisch ab. Wir merken zwar, dass uns etwas stresst, halten aber nicht inne, um nachzuspüren, welches Gefühl gerade in uns vorherrscht. Sind wir achtsam, passiert uns Aufmerksamkeit nicht zufällig, sondern wir initiieren sie bewusst. Diese achtsame Aufmerksamkeit bezieht sich ausschließlich auf das Hier und Jetzt und ist obendrein nicht wertend.
Doch wie kann man das Glück im Kopf gezielt anzapfen? Hier beginnt die Reise so oft mit unseren Gedanken. Als Therapeutin und Coach glaube ich ganz fest daran, dass es ungemein helfen und unterstützen kann, wenn wir Dynamiken und Muster unseres Verstandes nachvollziehen können. Ich habe viele Klienten in meiner Praxis, die wahre Kämpfe mit ihrem Verstand und Körper austragen. Sie beschimpfen, kritisieren und beurteilen sich negativ. Lassen Sie das lieber sein. Unsere Gedanken werden mit den Worten, die wir zu uns selbst sagen und mit den Bildern, die wir visualisieren gefüttert. Sind wir überkritisch mit uns selbst, füttern wir uns negative Gedanken und damit eine negative Stressreaktion heran. Sind wir achtsam, findet eine Aktivierung des präfrontalen Kortex statt – das ist der Platz im Gehirn für Glück und Wohlbefinden. Zudem wird unser Immunsystem gestärkt, eine Sache, die gerade jetzt extrem hilfreich sein kann. Ist der Platz im Gehirn mit positiven Glaubenssätzen und Gefühlen besetzt, haben negative Gedanken schlicht keinen Platz und wir fühlen uns langfristig glücklicher und energiegeladener und in unserer persönlichen Mitte. Ein achtsamer Umgang mit uns selbst und unserem Körper kann sich sogar positiv auf Krankheiten wie z. B. Multiple Sklerose auswirken. Achten Sie also darauf, sich mit positiven Worten und Bildern zu beschenken und behandeln Sie sich selbst wie einen guten Freund.
Die Stärke unserer Gedanken richtig zu nutzen und dabei noch achtsamer, bewusster durchs Leben zu gehen, ist ein wirklich guter, solider Plan. Sie werden schnell den positiven Effekt spüren, wenn Sie z. B. mit drei konkreten Dingen beginnen, die sie regelmäßig tun und auch bewusst erleben.
Bleiben Sie z. B. morgens noch eine Minute länger liegen und nehmen Sie sich im Hier und Jetzt bewusst wahr. Vielleicht sehen Sie da Schatten an der Wand oder Vorhänge machen im Wind ganz spezielle Geräusche. Oder nutzen Sie Ihren Weg zum Bus: Was liegt am Boden, wie riecht es, ist es windig oder wie fühlen sich die Regentropfen im Gesicht an? Welche Empfindung auch immer Sie wählen, versuchen Sie im Moment zu bleiben und beobachten Sie sich selbst, Ihre Atmung, Ihre Wahrnehmung und lernen Sie sich Stück für Stück besser kennen. Es geht tatsächlich um dieses „ins Spüren kommen“. Der Körper ist dafür eine wunderbare Spielwiese. Und dann beobachten Sie, was Sie zu sich selbst sagen. Ersetzen Sie jede negative Aussage durch die gegenteilige positive. Auch wenn sich das anfangs komisch anfühlt, ihr Geist glaubt Ihnen Positives genauso wie Negatives – nur schüttet er bei Positivem Glücks- statt Stresshormone aus.
Auch bei der progressiven Muskelentspannung geht es um bewusstes Wahrnehmen. Um sich selbst noch intensiver spüren zu können, spannt man einzelne Muskelgruppen für wenige Sekunden an, um sie danach wieder bewusst zu entspannen. Hier brauchen Sie kein Fitnesscenter, diese Übung können Sie ganz einfach zu Hause oder auch am Arbeitsplatz durchführen. Auch hier gilt: Wiederholung ist King! Und sollten Sie eher zu den auditiven Typen gehören, hätte ich noch einen Tipp aus der Praxis: Manchmal ist es laut um uns herum, dennoch hören wir nichts. Klingt paradox ist aber so. Deshalb setzen Sie sich hin und lauschen Sie ganz bewusst den Geräuschen, die Sie umgeben. Nehmen Sie dabei keinerlei Wertung vor. Hören Sie vielleicht Geräusche, die sie sonst niemals bemerkt hätten? Oder haben Sie ein Lieblingslied, das ihnen so richtig gute Laune macht? Versuchen Sie diese positiven Vibes immer und immer zu wiederholen, hören Sie das Lied beim Duschen, nutzen Sie es als Klingel- oder Weckerton. Dieser musikalische Input kann auch gleichzeitig als Anker dienen, indem er Sie erinnert, erneut achtsam durch den Tag zu gehen.
Oft sind es tatsächlich die kleinen Dinge, die eine große Auswirkung und einen nachhaltigen Effekt haben und all das gelingt uns auch während der Pandemie. Wir haben über nichts Kontrolle, sehr wohl aber über unseren Geist. Nutzen Sie Ihre Sinne, um ein wenig Achtsamkeit und damit Ruhe in ihren Alltag zu bringen. Welche Sinne Sie auch immer für diese Reise einsetzen, ich wünsche Ihnen, dass Sie ganz viele Aha-Momente erleben dürfen.
Ihre
Claudia Schwinghammer
Wirtschaftspsychologin, Coach, Familientherapeutin i.A.u.S.