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Im Sommer 2016 traf mich die Diagnose MS aus heiterem Himmel. Innerhalb von wenigen Tagen machten mein Leben und meine Einstellung zu ihm eine komplette Kehrtwendung. Vor kurzem war ich 17 geworden, es waren Sommerferien, mein Dasein war unbeschwert. Bis zu diesem Tag im Juli.

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Ich hatte gerade zu Mittag gegessen: zum ersten Mal Nudeln aus Linsenmehl, glutenfrei. Beim anschließenden Bräunen auf der Terrasse fiel mir auf, dass meine Zunge taub und pelzig war. Irgendwie komisch, so als hätte ich sie mir verbrannt oder als wäre ich gerade vom Zahnarzt gekommen. Erst gab ich den Linsennudeln die Schuld, vielleicht würden die ja sowas auslösen.

Zeitsprung zum Abend desselben Tages: Ich informierte meine Eltern über das eigenartige Gefühl. Mittlerweile hatte sich dieses auf meine gesamte linke Kopfhälfte ausgebreitet. Die Wange? Taub. Das Ohr? Taub. Die Lippen? Taub. Als ich keine Berührung mehr in diesen Bereichen wahrnehmen konnte, bekam ich es mit der Angst zu tun. Hatte ich einen Schlaganfall gehabt? Ab ins Krankenhaus.

In der Kinderambulanz – ich war schließlich noch nicht volljährig – war es rappelvoll und mir ging es schlecht, woran rückblickend wahrscheinlich vor allem meine Panik schuld war. Ich wurde von einer jungen Ärztin untersucht, die schnell einen Verdacht hatte und sofort die richtigen Untersuchungen in die Wege leitete – Blutabnahme, MRT, Lumbalpunktion. Bis die Ergebnisse vorliegen würden, sollte ich im Spital bleiben. Auch wenn man prinzipiell lieber nicht dort übernachtet, war es mir damals sehr recht, da ich einfach Angst hatte. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war.

Zwei Tage später: Der Primar der Kinderstation bestellte meine Eltern und mich in den Besprechungsraum. Auch die Ärztin von meiner Erstuntersuchung war dabei. Es fielen die Wörter „Autoimmunerkrankung“ und „unheilbar“, irgendwann auch „Multiple Sklerose“. Was soll das denn bitte sein? Und das soll ich haben? Auf eine Weise fühlte es sich so an, als würden wir gar nicht über mich sprechen. Sich mit diesen Begriffen zu identifizieren, ist im ersten Moment gar nicht möglich. An den Rest des Gesprächs kann ich mich kaum erinnern, ich wollte nichts mehr hören. Alles verschwamm.

In den nächsten drei Tagen lernte ich hochdosierte Kortison-Infusionen lieben und hassen. Meine Symptome, die Taubheit im Gesicht, besserten sich, allerdings hatte ich bis dahin keinen Schimmer gehabt, wie stark Nebenwirkungen sein können. Ein aufgedunsenes Mondgesicht, Wassereinlagerungen am ganzen Körper, Schlaflosigkeit, Hitzewallungen. Von meiner Diagnose versuchte ich mich abzulenken, dachte aber natürlich immer wieder daran. Auch als ich drei Tage später nach Hause durfte, war alles immer noch wie im Nebel. Würde ich mich je wieder „normal“ fühlen?

In den ersten Wochen danach hatte ich massive Probleme, meinen „neuen“ Körper anzunehmen. Ich fühlte mich vorher stark und fit, und jetzt sollte ich auf einmal chronisch krank sein? Ins Kickboxtraining traute ich mich nicht mehr, im Fitnessstudio und auch beim Radfahren ging ich es sachte an. Seniorensport mit 17. Die Angst, meine Erkrankung durch Überanstrengung schlimmer zu machen, war immer präsent. Auch der Umgang mit den Menschen in meinem Umfeld war alles andere als einfach. Ich fühlte mich selten verstanden, war genervt von den Floskeln. „Wird schon wieder!“ und „Gute Genesung!“ kommen eben nicht so gut, wenn sich dein Körper buchstäblich selbst zerstört.

Zeitsprung ins Hier und Jetzt: Wenn ich an diese Phase zurückdenke, wünsche ich mir, dass ich der Nina von damals sagen könnte, dass sich alles – zumindest einigermaßen – normalisieren wird. In den vergangenen sechs Jahren gab es neben Hochs zwar ebenso Tiefs, doch im Großen und Ganzen habe ich gelernt, mit der Erkrankung zu leben. Auch wenn es dauert, bis man sich wieder wie „sich selbst“ fühlt, wird man Schritt für Schritt zum Profi im Umgang mit der MS. Ein Wendepunkt bleibt der Tag der Diagnosestellung dennoch.